Samstag, 12. Mai 2012
Zum Tod von Günther Kaufmann
Der Einzigartige
Widersprüchlicher kann ein Leben kaum verlaufen: Als Schauspieler feierte Günther Kaufmann erst Triumphe mit Fassbinder, dann wurde er Krimi-Star. Um seine todkranke Frau zu schützen, ging er selbst ins Gefängnis - und brachte Unschuldige in Verruf.



"Es gibt eine erste Garnitur Gottes - das sind Menschen, mit denen Gott es besonders gut gemeint hat", hat Günther Kaufmann einmal gesagt. "Ich halte mich für die zweite Garnitur." Ein hartes, seltsames Urteil über das eigene Leben - war doch gerade bei Kaufmann überhaupt nicht klar, wie es Gott denn nun mit ihm gemeint haben könnte.

Am Anfang seiner Schauspielkarriere stand nämlich das unfassbare Glück. In einer Fernsehfassung von Brechts "Baal" stand der 22-jährige Kaufmann 1969 neben einem ebenso jungen Schauspieler mit Regieambitionen vor der Kamera. Das war Rainer Werner Fassbinder, und gemeinsam mit Kaufmann machte er sich auf, den deutschen Film zu revolutionieren. Nur ein Jahr später war Kaufmann schon neben Hannah Schygulla, Margarete von Trotta und Ingrid Caven in Fassbinders "Götter der Pest" zu sehen, dem ersten von rund einem Dutzend gemeinsamer Filme.

Ob "Berlin, Alexanderplatz" oder "Die Ehe der Maria Braun": Günther Kaufmann war dabei, als Fassbinder Filmgeschichte schrieb. Er spielte Nebenrollen wie in "Warum läuft Herr R. Amok?" (1970) und Titelrollen wie im Rassismusdrama "Whity" (1971). Mal war seine Biografie als Sohn eines schwarzen US-Soldaten und einer weißen Deutschen Thema, mal nicht. Einen "bayerischen Neger" soll ihn Fassbinder genannt haben. Kaufmann machte daraus - in Anspielung auf das Münchner Viertel, in dem er aufgewachsen war - "den weißen Neger vom Hasenbergl" und gab 2004 sogar seiner Autobiografie diesen Titel.

Kaufmanns Beziehung zu Fassbinder war von Anfang an spannungsreich, der Regisseur soll sich einst heftig in den Schauspieler verliebt haben. Als Fassbinder zur großen Überraschung vieler 1970 die Schauspielerin Ingrid Caven heiratete, war Kaufmann sein Trauzeuge. Prompt kamen Gerüchte auf, er habe statt der Braut die Hochzeitsnacht mit Fassbinder verbracht. "Ich bin nicht schwul, diesen Gefallen konnte ich ihm nicht tun", stellte Kaufmann später in der "Süddeutschen Zeitung" klar.

Mit Fassbinders Tod 1982 nahm Kaufmanns Schauspielkarriere die Wendung zum Trivialen. Die Angebote für anspruchsvolle Rollen versiegten, plötzlich war Kaufmann in "Otto - Der Film" oder "Ein Schloß am Wörthersee" zu sehen - als US-Soldat oder Mafioso. Episodenrollen in Serien wie "Derrick" oder "Der Alte" machten ihn schließlich einem breiten TV-Publikum bekannt, für das er fortan als einer der wenigen Afrodeutschen zum Fernsehinventar gehörte. In den Untiefen der TV-Unterhaltung verbrachte Kaufmann schließlich die nächsten zwei Jahrzehnte - bis er selbst zum Gegenstand des Boulevards wurde.

Zwischen Gefängnisstrafe und "Dschungelcamp"

Aus Liebe zu seiner todkranken Frau legte er 2001 ein falsches Geständnis ab und ließ sich für den Mord an seinem Steuerberater zu 15 Jahren Haft verurteilen. Als die eigentlichen Täter offenbar wurden, widerrief Kaufmann sein Geständnis und kam nach 831 Tagen Gefängnis frei. Er habe seine damals schwer kranke Frau schützen wollen, begründete er später sein falsches Geständnis. Sie hatte die eigentlichen Mörder offenbar angestiftet, nachdem sie den Steuerberater um rund 850.000 Mark betrogen hatte. Im Wiederaufnahmeverfahren wurde Kaufmann im Januar 2005 vom Landgericht Augsburg freigesprochen.

Gleichwohl wurde Kaufmann im folgenden Jahr wegen besonders schwerer Freiheitsberaubung durch falsche Verdächtigung zu 22 Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Das Amtsgericht München sprach ihn schuldig, weil er bei seinem falschen Mordgeständnis zwei Unschuldige als angebliche Komplizen angegeben hatte. Die beiden Männer waren daraufhin in Untersuchungshaft genommen worden.

Seiner Film- und Fernsehkarriere fügten beide Urteile keinen Schaden zu - im Gegenteil. Er hatte wieder viel zu tun, trat in Arthouse-Thrillern wie "Weiße Lilien" (2007) auf, trug Tanga in der Kinofassung von "Türkisch für Anfänger" (2012) und war "der schreckliche Sven" in den "Wickie"-Filmen von Michael "Bully" Herbig. Von Herbig zeigte sich Kaufmann besonders angetan, der habe eine "Gabe wie Fassbinder: das genaue Gefühl für Menschen und Pointen". Seine Rolle in den Kinderfilmen nannte Kaufmann in der "WAZ" sogar "die Rolle meines Lebens".

Einmal im Boulevard angekommen, schien sich Kaufmann dort eingerichtet zu haben: 2009 ging er sogar in das RTL-"Dschungelcamp" und gewann mit seiner überaus entspannten Art, die quer zur Aufgeregtheit der Trash-Show stand, die Sympathien vieler Zuschauer, für die seine Fassbinder-Zeiten noch nicht einmal mehr blasse Erinnerung waren.
Kurz vor Beginn von Dreharbeiten für die ARD-Serie "Um Himmels Willen" kündigten sich im Frühjahr 2012 schließlich ernsthafte gesundheitliche Probleme bei Kaufmann an. Er erlitt eine Herzmuskelentzündung. Drei Tage lang, so erzählte er es der "Süddeutschen Zeitung" später, bekam er nachts keine Luft mehr, er habe es nur noch ganz knapp ins Krankenhaus geschafft.

Keine zwei Monate später sollte Kaufmanns Herz endgültig versagen. Am Donnerstag verstarb er während eines Spaziergangs im Berliner Stadtteil Grunewald. Kaufmann wurde 64 Jahre alt. Sein letztes vollendetes Projekt war der Kinofilm "Kleine Morde", im nächsten Jahr wollte er schließlich sein eigenes Leben verfilmen - unter dem Titel "Die zweite Garnitur Gottes".
Quelle: www.spiegel.de

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