Sonntag, 29. April 2012
"DSDS"-Finale
Jugendschutz zur Rüssel-Time
Luca Hänni ist Sieger der neunten Staffel von "Deutschland sucht den Superstar". RTL verkauft das müde Finale als fesselndes, hoch emotionales Ereignis. Selbst ein kleiner Skandal vor der Sendung machte den Abend nicht spannender. Ob das Format so Zukunft hat, ist fraglich.



Hamburg/Köln - Zieht man nach zehn Jahren zum Ende der neunten Staffel von "Deutschland sucht den Superstar" ("DSDS") Bilanz, liegt der Vergleich nahe, dass sich RTL mit "DSDS" ein Abbild vom Irrsinn des Berliner Politikbetriebs geschaffen hat.

Wie Kanzlerin Merkel denkt Poptitan Dieter Bohlen bei seiner Castingshow strategisch "vom Ende her" ("Wer könnte das Finale gewinnen?"). Auch in der "DSDS"-Jury gibt es immer mal wieder Krach unter den Koalitionspartnern. Wer Bohlen nicht gefällt, wird - wie unliebsame CDU-Länderfürsten - schnell aussortiert.
Wie die meisten Parteien kämpft Bohlen mit schwankenden Umfragewerten. Zuletzt lagen die Einschaltquoten unter dem Durchschnitt der vergangenen achten Staffel. Kritik gibt es zudem, weil die Sendung mit der Frauenquote hadert. Sieben der acht vergangenen "DSDS"-Gewinner waren männlich.

Zu der Statistik gesellt sich jetzt Luca Hänni. Der Schweizer setzte sich am Samstag in einem unerträglich mauen Finale gegen Daniele Negroni durch. Wie RTL versucht, die Quoten vor Ende der Staffel zu pushen, darüber kann man nur spekulieren. Drei Tage vor der Final-Show hatte der Kölner Sender auf seiner Homepage bereits Daniele als Sieger verkündet.

Kein Aufmerksamkeitsgehasche, eine technische Panne, erklärte RTL. So musste Marco Schreyl am Samstag gleich zu Beginn der Live-Sendung klarstellen, dass die Gerüchte, der Gewinner stehe schon längst fest, falsch seien. Keine Sorge, alles notariell beaufsichtigt, jetzt anrufen.

Schreyl gab wie gewohnt den lässigen Conférencier. Betont launig plauderte er mit den Kandidaten über ihre Auftritte, ordnete dem Publikum gönnerhaft die Finalisten ein ("Daniele, irgendetwas an "DSDS" muss dir von Anfang an gut getan haben") und machte vor den Werbeblöcken den Markt-Schreyerl: "Sie allein bestimmen, wer "DSDS"-Sieger wird! Jetzt anrufen!"

Noch rufen die Leute an, noch ist die Quote anständig. Aber um mit dem Format in Zukunft Erfolg zu haben, müssen sich Bohlen und RTL für die nächste Staffel etwas einfallen lassen.

Was an der Sendung nicht stimmt, lässt sich an diesem Finale ablesen. Den beiden Halbstarken, Daniele und Luca, kann man keinen Vorwurf machen. Sie sind 16 beziehungsweise 17 Jahre alt, ihnen winkt eine Musikkarriere - wenn die auch nur von kürzester Dauer sein mag - Ruhm, Presserummel, und Gewinner Luca zusätzlich das von Bohlens Hofstaat bereits eingeführte Betreuungsgeld: Zum ersten Mal erhält der "DSDS"-Sieger 500.000 Euro als Prämie.

Im Grunde egal

Woran das Finale kränkelt, ist die müde Inszenierung. Dass der Begriff Superstar bei "DSDS" weit hergeholt ist - seit Jahren bekannt, geschenkt. Mit der neusten Staffel ist der vergangene Gewinner schon wieder vergessen. Aber wenn Schreyl das Finale am Samstag mit den Worten "Badboy versus Mädchenschwarm, Freak oder lieber Sunnyboy?" eröffnet wie eine Deppen-Auktion, ist gleich klar, dass das Gesangstalent komplett unwichtig ist. Die Rauch-Rauf-Sauf-Heim-Kindheitsgeschichte von Daniele zählt mehr als sein "Krächzgesang". Natürlich hatte er nicht die beste Stimme unter allen Bewerbern. Stimmen muss nur die Show.

RTL scheint es zu reichen, die beiden als knallbunte H&M-Abziehbilder auf die Bühne zu stellen, damit Moderator Schreyl zwischen den Auftritten das Mantra vom armen, aber geläuterten Rabauken Daniele herunterbeten kann, der sich dem smarten Schmuseteddy Luca stellen muss. Emotionales Fernsehen - man hat es schon subtiler erlebt.

Der eine ist eben 16, der andere 17. Beide haben Vanilla-Ice-Frisuren, der eine gefährlich bunt getönt, der andere naturbraun. Der eine ist in Norditalien geboren, der andere in der Schweiz. Wer von beiden gewonnen hat und jetzt mit dem von Bohlen komponierten Stück "Don't think about me" ein bisschen Tamtam machen darf: im Grunde egal. Und so droht Bohlens ganze Sendung egal zu werden.

Auf dem Markt haben sich inzwischen zig Castingshows breitgemacht. Allein die Marke Bohlen unterscheidet "DSDS" von der Konkurrenz. Bloß nutzt sich seine Nummer mit den derben Sprüchen langsam ab. Im Finale vergreift sich nur einmal im Ton, als er das Duett der beiden in der Mitte der Show als "das beste Duett seit Modern Talking" bezeichnet.

"De' Hammer", "di' Wahnsinn"

Die Blabla-Ausführungen von Jury-Kollegin und "Cascada"-Sängerin Natalie Horler sind an diesem Abend untergegangen. Bruce Darnell feiert einfach alles und jeden ab. Unter "de' Hammer", "di' Wahnsinn" macht er's nicht.

Die Jury also mit den Auftritten zufrieden, die Fans jubeln, fehlt noch die Siegerehrung, die dann vielleicht den unterhaltsamsten Moment des Abends beschert: Ein Autobauer, Sponsor der Sendung, schenkt den zwei je einen Kleinwagen. Schreyl sagt: "Man könnte auch sagen - danke, Rüsselsheim!" Normal, dass zwei Minderjährige nicht die Produktionsstätten deutscher Fahrzeughersteller kennen. Sie gucken sich an, fragen fast gleichzeitig: "Häh? Was? Rüssel-Time?!"

Schreyl muss Gas geben. Nach 23 Uhr dürfen Luca und Daniele nicht auftreten. Jugendschutz hat nichts für Popstars übrig. Apropos Jugendschutz: Schon kommenden Samstag läuft "DSDS"-Kids an, für den 4- bis 14-jährigen Gesangsnachwuchs.
Für den Moment darf Luca sich über 52,8 Prozent der abgegebenen Stimmen freuen. Goldene Papierschnipsel regnen herab, während er noch einmal Bohlens Final-Song "Don't think about me" singt. Schreyl entlässt das Publikum im Saal und vor den Fernsehern mit den Worten "Erzählen Sie der Welt, dass es ein tolles Finale war!"

Ganz ehrlich: Don't think about it.
Daniel-C. Schmidt / Quelle: www.spiegel.de

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